VmDD - Whitepapers

Ein Whitepaper der Vereinigung Medizinischer Dokumentare Deutschlands (VmDD)

Von Turgay Korucu – Präsident VmDD, 2025

KI in der medizinischen Dokumentation: Hoffnungen, Hürden und Realitäten

Executive Summary

Die medizinische Dokumentation steht an einem Wendepunkt: Künstliche Intelligenz (KI) verspricht eine Entlastung im Klinikalltag und eine neue Qualität der Datennutzung. Während Pilotprojekte bereits Zeitgewinne und präzisere Befunde zeigen, offenbaren sich zugleich Herausforderungen bei Datenqualität, Haftung und Systemintegration. Dieses Whitepaper der Vereinigung Medizinischer Dokumentare Deutschlands (VmDD) beleuchtet, wo KI heute in der Dokumentation eingesetzt wird, welche strukturellen Hürden bestehen und wie die Zukunft bis 2030 aussehen könnte. Ziel ist es, Chancen und Risiken realistisch zu bewerten – und Wege aufzuzeigen, wie KI zum verlässlichen Partner medizinischer Dokumentation wird.

Einleitung

Wenn Ärztinnen und Ärzte berichten, dass sie einen erheblichen Teil ihrer Arbeitszeit mit Dokumentation verbringen und zugleich zwischen Patientenversorgung, Therapieplanung und Qualitätssicherung wechseln, wird klar: Medizinische Dokumentation ist kein Nebenschauplatz, sondern ein zentrales Element moderner Gesundheitsversorgung. Sie sichert Nachvollziehbarkeit, Forschungsfähigkeit und Versorgungsqualität. Mit dem Aufkommen der Künstlichen Intelligenz (KI) verbinden sich große Erwartungen: mehr Effizienz, weniger Belastung. Doch hinter der technologischen Faszination stehen anspruchsvolle Fragen zu Datenethik, Interoperabilität und Haftung.

Wo KI heute bereits dokumentiert

KI-Systeme finden zunehmend ihren Weg in die medizinische Praxis, insbesondere durch Spracherkennung, Natural Language Processing (NLP) und strukturierte Datenerfassung. Beispielhaft zeigt der CGM one DokuAssistent (CompuGroup Medical Italia 2025), wie Patientengespräche in Echtzeit transkribiert und automatisch in Befund-, Therapie- und Diagnosetexte überführt werden können. Laut einer Bitkom-Befragung (2024) sehen 78 Prozent der Ärztinnen und Ärzte in Deutschland KI als große Chance für eine effizientere Dokumentation. Erste Pilotstudien belegen: KI-gestützte Textvorschläge und semantische Kodierhilfen können bis zu 20 Prozent Zeitersparnis pro Fall ermöglichen (AOK-Faktencheck Gesundheitswesen 2025).

Technischer Fortschritt trifft klinische Realität

Die Praxis zeigt, dass KI Ärztinnen, Ärzte und Dokumentationsfachkräfte entlasten kann, wenn sie in bestehende Prozesse integriert wird. Doch die Realität ist komplex: Die Krankenhaus-IT in Deutschland ist stark fragmentiert. Unterschiedliche Systeme und inkompatible Schnittstellen erschweren die Integration von KI-Lösungen. Was Effizienz bringen soll, führt oft zu zusätzlichem Aufwand, etwa durch manuelle Prüfungen und Korrekturen (Bundesärztekammer 2025). Auch die Datenqualität bleibt eine Herausforderung. KI arbeitet nur so präzise wie die Daten, die sie erhält. Fehlende oder inkonsistente Dokumentationen können zu fehlerhaften Kodierungen und falschen Diagnosen führen. Hier braucht es eine enge Zusammenarbeit zwischen IT, Dokumentation und ärztlicher Leitung, um Datenqualität nachhaltig zu sichern (IQTiG 2024).

Haftung, Verantwortung und Transparenz

Mit der Nutzung von KI stellt sich die Frage der Verantwortung neu. KI darf Ärztinnen und Ärzte unterstützen, ersetzt jedoch keine medizinische Entscheidung. Die Bundesärztekammer (2025) fordert klare Regeln: KI-Systeme dürfen nur dann in der Medizin eingesetzt werden, wenn Nachvollziehbarkeit, Auditierbarkeit und menschliche Kontrolle gewährleistet sind. Black-Box-Modelle, deren Entscheidungswege nicht transparent sind, gelten als unzulässig für die klinische Routine.

Fokus Krebsregistrierung: Potenzial und Pflicht

Die onkologische Dokumentation ist ein Prüfstein für die Leistungsfähigkeit des Gesundheitssystems. Seit dem Krebsfrüherkennungs- und Registergesetz (KFRG, 2013) wurden Fortschritte erzielt. Dennoch bleiben Lücken: Förderkriterien wie Vollzähligkeit, IT-Schnittstellen und Feedbackprozesse sind vielfach nicht vollständig umgesetzt (Prognos im Auftrag des GKV-Spitzenverbands, 2019). KI-Systeme könnten hier entscheidend helfen – etwa bei der automatisierten Erfassung von Tumorberichten oder der standardisierten Extraktion von Stadien. Voraussetzung sind jedoch interoperable Datensätze und die flächendeckende Umsetzung des ADT/GEKID-Basisdatensatzes. Ohne diese Grundlagen wird KI, wie Korucu betont, nicht zur Entlastung, sondern zur neuen Fehlerquelle.

Zeitersparnis durch KI: Theorie und Praxis

In deutschen Kliniken dauert die medizinische Dokumentation eines onkologischen Falls durchschnittlich 25 Minuten (Deutscher Krankenhausgesellschaftsbericht 2024). Pilotprojekte mit KI-gestützter Spracherkennung und NLP-Technologie, etwa an der Uniklinik Tübingen oder der Charité Berlin, zeigen Einsparungen zwischen fünf und zehn Minuten pro Fall – abhängig von Fachrichtung und Komplexität. Modellrechnung (1.000 Fälle pro Jahr):

 

Szenario                                                Durchschnittliche Stundenbelastung pro Jahr

Ohne KI-Unterstützung                                            ca. 417 Stunden

Mit KI (5 Minuten weniger pro Fall)                        ca. 333 Stunden

Mit KI (10 Minuten weniger pro Fall)                      ca. 250 Stunden

 

Zukunftsvision 2030: Vom Dokumentieren zum intelligenten Netzwerk

Bis 2030 wird KI in der medizinischen Dokumentation weit über die reine Texterfassung hinausgehen. Forschungsinitiativen im Rahmen des European Health Data Space (EHDS, EU-Kommission 2025) zeigen den Weg: hin zu vernetzten Datenökosystemen, in denen Dokumentation, Register und Forschungseinheiten in Echtzeit interagieren. So könnte onkologische Dokumentation im Jahr 2030 aussehen: Automatisierte Datenerfassung, semantische Harmonisierung, Echtzeit-Rückmeldung und prädiktive Analysen. Datenschutz, Ethik und ärztliche Verantwortung müssen dabei fest verankert bleiben. Nur dann wird KI vom Werkzeug zum verlässlichen Partner.

Fazit: KI als Instrument, nicht als Ersatz

KI wird die medizinische Dokumentation verändern – nicht ersetzen. Ihr Wert liegt in der Steigerung von Datenqualität, Vollständigkeit und Nutzbarkeit. Damit dieses Potenzial Realität wird, müssen Politik, Register, IT-Hersteller und klinische Dokumentation gemeinsam handeln.

Über den Autor

Turgay Korucu ist Präsident der Vereinigung Medizinischer Dokumentare Deutschlands (VmDD).

© 2025 Vereinigung Medizinischer Dokumentare Deutschlands (VmDD)
Autor: Turgay Korucu, Präsident der VmDD
Veröffentlichung: Whitepaper, Düsseldorf, Oktober 2025
Quelle: VmDD 2025 (www.vmdd.org)

Download : VmDD - Whitepaper 10/2025

Wir benötigen Ihre Zustimmung zum Laden der Übersetzungen

Wir nutzen einen Drittanbieter-Service, um den Inhalt der Website zu übersetzen, der möglicherweise Daten über Ihre Aktivitäten sammelt. Bitte überprüfen Sie die Details in der Datenschutzerklärung und akzeptieren Sie den Dienst, um die Übersetzungen zu sehen.